Die Krise zersetzt unsere Kundenschnittstellen

Dünnhäutigkeit, Dauerempörung, Stumpfsinn: Die Krise zersetzt unsere Kundenschnittstellen. Wir müssen umsteuern.

Hirn aus, Klappe auf: Die pandemische Dauerkrise hat uns dünnhäutig gemacht. In Kombination mit unserer medialen Dauerempörung hat sich ein Stumpfsinn breitgemacht, der jede Kundenschnittstelle von innen zersetzt. Service funktioniert so nicht, das ganze Business funktioniert so nicht. Wir müssen umsteuern. Dringend.

Wir sind runter mit den Nerven. Wir sind dünnhäutig, wir sind explosiv, viele von uns wollen sich nicht mehr zusammenreißen. Oder können es nicht. Gerade gestern hat mich eine Passantin aus dem Nichts angefaucht, ich solle gefälligst auf DIESEM Parkplatz parken und nicht auf DEM DA. Einen rationalen Grund konnte ich dem Gezeter nicht entnehmen. Ohne Antwort und mit einem mitleidigen Kopfschütteln machte ich auf dem Absatz kehrt. Was da los ist? Schwer zu sagen. Vielleicht ist es so:

  1. Die Dauerkrise macht uns dünnhäutig.
  2. Dünnhäutigkeit plus Dauerempörung entfesselt unsere Aggressionen.
  3. Aggressionen behindern das Denken. Und schaden jedem Unternehmen.
  4. Setzen wir wieder auf Reflexion. Und auf die Macht der Empathie.

Dünnhäutigkeit: Jede Kleinigkeit löst eine Welle aus

In die Lieblingsbar können wir nicht mehr, ins Fitnessstudio genauso wenig, die betagten Eltern dürfen wir nicht mehr sehen. Unser Alltag passt nicht mehr zu unserem Selbstkonzept. Wir fühlen uns gegängelt, nicht mehr stimmig, wollen nicht nur unser altes Leben zurückhaben, sondern unser altes Ich. Unsere Pläne. Unseren Erfolg. Unser Selbstbewusstsein, das wir längst abhängig gemacht haben von unserer Leistung. Nun sind wir von einem „Geschehen“ getrieben, auf das wir keinen direkten Einfluss haben. Das lässt uns ohnmächtig fühlen.

„Eine Antwort auf Ohnmacht ist für viele, sich in eine Situation des Hasses zu versetzen“, erklärt der Soziologe Heinz Bude. „Denn das ist der Affekt, der ihnen besonders viel Macht für den Moment gibt.“ Wer schreit, erlebt Selbstwirksamkeit.

Dauerempörung: Fast so schön wie ein echter Erfolg.

Im Netz ist es ähnlich: Je mehr Aggressivität ich in Twitter, Facebook und Co. einspeise, desto lauter schallt es zurück. Dabei will man gar keine Antworten. Man will nicht verstehen, man will sich viel lieber aufregen, anklagen, sich abgrenzen.

Das bringt kurzfristige Vorteile: Wer rational argumentiert, kann in einer Debatte unterliegen. Wenn es statt um Rationalität nur noch um Emotionen geht, braucht man keinen Dialog. Kein Denken! Dann reicht es, lauter zu schreien als der andere. Der Aggressivere gewinnt. Ein schöner Ersatz-Erfolg – so scheint es – wenn wir schon auf die gewohnten Erfolgserlebnisse verzichten müssen.

Rational wissen die allermeisten, dass das der falsche Weg ist. Trotzdem fällt es schwer, die eigenen Emotionen im Zaum zu halten. Es scheint so viel einfacher und so viel entlastender, archaischen Freiheitsimpulsen nachzugeben als sich zusammenzureißen. Wer weiß, wie lange noch. Monate? Jahre? Klar, regt man sich auf. Nur: Was bringt das?

Stumpfsinn: Wer aggressiv ist, der kann nicht denken.

Die reale Krise ist anstrengend genug. Wenn wir in dieser Zeit – Corona, Klima, Terror – einen signifikanten Anteil unserer Aufmerksamkeit der medialen Empörungsindustrie widmen und uns noch auf dem Parkplatz an der Dauerempörung beteiligten, brauchen wir uns selbst bei ausreichender Versorgung mit Datenvolumen und Klopapier über unsere wachsende Aggression nicht zu wundern. Immer mehr Emotion, immer weniger Reflexion.

Der aus Dünnhäutigkeit und Dauerempörung resultierende Stumpfsinn führt uns in eine brenzlige Situation. Dabei ist Geschrei an der Parklücke noch das kleinste Problem. Emotional aufgepeitschte Dünnhäuter sind weder als Führungskräfte noch als Mitarbeiter in der Lage, sich zu 100 Prozent auf ihre Aufgabe zu konzentrieren: den Kunden. Und dauerempörte Kunden sind mit nichts und niemandem zufrieden, aus Prinzip schon nicht, und verwandeln jedes Geschäft in einen wenig gewinnbringenden Empörungsmarathon. So macht uns nicht nur das Virus die Geschäfte kaputt, sondern auch der Stumpfsinn. Ich sage: Wir können uns Dünnhäutigkeit, Dauerempörung und Stumpfsinn nicht leisten.

Bitte: Hirne wieder einschalten. Und die Herzen auch.

Der rationale Appell wäre also dieser: „Schluss mit dem Gezeter. Zurück zur Sache!“ Nur kommt ein solcher Appell nicht an, wenn die Nerven blank liegen. Was jetzt?

  • Sehen wir auf den dünnhäutigen Menschen hinter dem Geschrei: auf seine Ohnmacht, seine Angst, seine Enttäuschung.
  • Ziehen wir der Dauerempörung den Stecker, indem wir nicht reflexhaft zurückfauchen.
  • Halten wir gegen den grassierenden Stumpfsinn die Kraft unserer Hirne, unserer Herzen, unserer Haltung und unseres Humors.

Dass dies alles noch da ist, haben die vergangenen Monate ja auch gezeigt. Freunde sind zusammengerückt, Familien, Nachbarn. Wir erlebten eine neue, „aus der Verwundbarkeit heraus begründete“ Solidarität, so formuliert es Heinz Bude. Damit umzugehen hatte uns kein leistungsindividualistisches Selbstverwirklichungsseminar jemals beigebracht. Genau das brauchen wir aber jetzt.

Wenn wir unser Business, unsere Kunden und letztendlich uns selbst sicher durch diese Krise bringen wollen, und wer wollte das nicht?, dann sollten wir jetzt auf eine andere Art Erfolgsdenken setzen. Weniger gefangen sein in der eigenen Befindlichkeit, mehr nach außen schauen. Auf das Ganze schauen – und uns üben in Reflexion. Auf unser Gegenüber schauen – und vertrauen auf die Macht der Empathie.

Nur: Was heißt das ganz konkret bei Geschrei auf dem Parkplatz? Wie hätte ich noch reagieren können? Haben Sie eine Idee?

Bildquelle: axelbueckert / photocase