Woher kommt Haltung?

Grottenschlechter Service ist, wenn die Mitarbeiterin eines Fitness-Studios ihren Kennenlernstunden-Text herunterleiert, ohne auch nur eine Sekunde nachzuspüren: Wie geht es der Kundin? Grottenschlechter Service ist, wenn dem Mitarbeiter angesichts einer langen Kundenschlange so gründlich die Nerven durchgehen, dass er wüste Schimpftiraden vom Stapel lässt. Grottenschlechter Service ist, wenn Luxusmarken-Verkäufer ihre Kunden geringschätzig von oben bis unten mustern, bevor sie sich zu einem müden Gruß herablassen. Empathiemangel, Aggressivität, Arroganz – das sind Zutaten für einen Service, der mich immer wieder fassungslos macht. Warum passiert so etwas?

Hinter unterirdischem Service steht immer ein Defizit: Servicehaltung mangelhaft. Und wenn Service funkelt, begeistert, wenn Service die Herzen aufgehen oder einen erleichtert aufatmen lässt, dann ist der Grund immer eine herausragende Servicehaltung. Haltung ist der Schlüssel, davon bin ich überzeugt. Nur: Was genau ist Haltung? Wo kommt sie her? Und wenn sie nicht da ist: Lässt sich Haltung entwickeln?

Der Schlüssel zu exzellentem Service ist gar nicht so leicht zu fassen wie es auf den ersten Blick scheint. Ich habe selbst sehr lange darüber nachgedacht, was eigentlich hinter dem Thema Haltung steckt. Um die vielen Fragen mit Leben zu füllen, habe ich schließlich bei mir selbst angefangen und über mein eigenes Leben nachgedacht. Anlass war mein Buchbeitrag zu „Alles geben, nur nicht auf“. Und so ist dieser Blog sehr persönlich geworden, doch mein Beruf ist auch persönlich. Alles geben, nur nicht auf – dabei geht es um hinfallen, überwinden, aufstehen, scheitern, abhaken, Augen zu und durch, weinen, lachen, freuen, feiern, ernten, wieder da sein… Ich bin so oft aufgestanden wie ich hingefallen bin. Sehr oft. Privat und im Beruf. Und von Beginn an ging es dabei unbewusst auch immer um Service.

Erste Lektion: Gastfreundschaft

Mein Elternhaus war bis unter die Deckenbalken gefüllt mit herzlicher Servicehaltung. Niemand nannte das so in unserer Familienpension im Salzkammergut, aber es ging exakt darum. Meine Großmutter kannte ohne Excel-Tabelle den Lieblingskuchen jedes einzelnen Gastes, sie wusste, wann das individuell gekochte Frühstücksei aus dem Kochwasser zu fischen und wie ihr österreichischer Charme zu dosieren war. Das Wohl der Gäste stand oben auf der Liste, wir Kinder sprangen auch irgendwo fröhlich herum, klar, aber wir spielten in den Sommermonaten nicht (immer) die Hauptrolle. So lernten wir schon früh, wie echte Herzlichkeit geht und dass man sich auch mal zurücknehmen und zusammenreißen muss – was mir als geborenem Feuerpferd, das ist mein chinesisches Sternzeichen, nicht gerade leicht fiel. Gefühle spüren, emotionale Begegnungen gestalten, Affekte kontrollieren, Selbstregulation. Erste Lektion.

Zweite Lektion: Bildung

Als ich zehn Jahre alt war, bewarb sich meine beste Freundin um einen Platz in einem speziellen Internat. Das klang spannend, und so bewarb ich mich solidarisch mit ihr, ohne groß darüber nachzudenken. Ich bekam den Platz, meine Freundin nicht. Trotzdem ging ich hin – und bin heute glücklich über eine exzellente Schulausbildung. Natürlich gab es auch ausgelassene Stunden, wilde Abenteuer wie in „Hanni und Nanni“ (wer das noch kennt) und bis heute tiefe Freundschaften. Doch vor allem ging es um die Ratio: Wissen pauken, pünktlich sein, Disziplin üben, Selbstkontrolle. Seinen Platz in einer Gemeinschaft zu behaupten. Das Feuerpferd bekam Zaumzeug. Zweite Lektion.

Dritte Lektion: Durchbeißen

Die dritte Lektion führte die vorigen Lektionen zusammen: während meines Sprachstudiums in Wien sprang ich für einen Freund als Reiseleiterin in einem Schigebiet ein. Ich war zwanzig Jahre alt, hatte keine Ahnung, kein Briefing, nichts, und musste aus dem Stegreif eine Rede vor 120 aus gutem Grund schlecht gelaunten Gästen halten. Es retteten mich mein österreichischer Charme, mein im Elternhaus gelerntes Gefühl für Gäste und die im Internat geschulte Fähigkeit, mich eisern durchzubeißen. In dieser Zeit begegnete ich Oliver an einer Hotelrezeption. Aus uns wurde ein Paar, ich zog nach München, bekam einen reizvollen Job in der Reisebranche: Für mich doppeltes Glück, weil ich erstens die Reklamationsabteilung eines Reiseveranstalters mit aufbauen konnte und unglaublich viel Neues über Service lernte. Und weil ich im Sommer so viele Überstunden machte, dass ich von September bis Weihnachten frei hatte.

Lektion vier: Kühler Kopf im Krisenfall

Was mir mein nächstes Sprungbrett bescherte: Olivers Vater besaß eine spezialisierte Druckerei. In einem Herbst gab es einen Engpass im Büro, und ich half gerne aus. Anfangs mit sehr wenig Ahnung von Drucktechnik, aber dafür mit dem festen Willen, das hinzukriegen. Wieder halfen mir mein österreichischer Charme und meine Entschlossenheit. Hannes bot mir eine feste Stelle an, später kaufte ich mich als Gesellschafterin ein. Die Druckerei profitierte damals von einer Disruption, an die sich heute kaum noch jemand erinnert: Es gab mal eine Zeit, da warf man Münzen in Telefonautomaten. Danach kamen die Telefonkarten – Chipkarten für bargeldloses Telefonieren. Genau diese Karten stellten wir her, bis die Ära eines Tages vorbei war und unsere goldenen Zeiten auch. Ich lernte, trotz Stress und Druck warmherzig und zugewandt zu bleiben und Mitarbeiter auch in schwierigen Zeiten zu begeistern – dabei half mir mein inneres Feuerpferd. Ich lernte auch, mit kühlem Kopf und offenem Visier Bankgespräche zu führen, wenn die Finanzen Spitz auf Knopf stehen – gut, dass ich geübt hatte, das Feuerpferd zu zähmen. Wir erholten uns von der Krise. Das war Lektion vier.

In dieser Zeit suchte Oliver für sich einen neuen Weg, und fand ihn im Management-Training. So lernte ich Hermann Scherer kennen, der gerade ein eigenes Unternehmen gründen wollte. Die Kombination der Themen Kommunikation, Psychologie und Menschen faszinierte mich, bot sie mir doch die Möglichkeit, hier an das anzuknüpfen, was ich damals viel lieber als die „vernünftigen Sprachen“ studiert hätte. Ich wurde Partnerin und wir gründeten das „Unternehmen Erfolg“. An einem Abend saßen wir bei einem Glas Wein am Gardasee und überlegten, wer als Redner welches Thema besetzen könnte. Ich wusste sofort, dass mein Thema „Service“ ist. Das kannte ich aus unserem Familienhotel im Salzkammergut, als Reiseleiterin und von meinen Aufgaben beim Reiseveranstalter. Wie Service zwischen Geschäftspartnern läuft und welche Herausforderungen Serviceprozesse an Führung stellen, das hatte ich in der Druckerei gelernt. „Unternehmen Erfolg“ wurde unser gemeinsames Baby, einer half dem anderen – doch schon recht früh zeigte sich: Wir tickten sehr unterschiedlich. Lebten ganz unterschiedliche Haltungen. Schließlich zog ich nach Düsseldorf zu meinem neuen Lebenspartner, und „Unternehmen Erfolg“ war für mich Geschichte.

Lektion fünf: Herzensbildung und wacher Verstand

Lektion fünf: Wenn zwei Feuerpferde zusammen unterwegs sein wollen, dann müssen sie sich selbst auf eine ähnliche Weise zu zähmen gelernt haben. Womit wir wieder beim Thema Haltung sind. Haltung hat für mich eine emotionale und eine rationale Seite.

  • Auf der emotionalen Seite steht bei mir das Feuerpferd. Es ist stark, leidenschaftlich und wild, es hat starke Affekte und die Fähigkeit, tiefe Resonanz herzustellen. Seine Herausforderung ist Selbstregulation: Sich selbst beruhigen können, die eigenen Flammen im Zaum halten, auch bei schmerzhaften Erfahrungen, bei Stress und Druck. Haltung lernen heißt hier, Gefühle spüren, aber diesen Gefühlen nicht reflexhaft nachgeben. Haltung heißt, den Reflex verlangsamen.
  • Auf der rationalen Seite steht das Zaumzeug des Feuerpferds. Es ermöglicht Selbstkontrolle. Wenn die Gefühle gebändigt sind, dann sind Lernen und Reflexion erst möglich. Erst dann lassen sich Erlebnisse einordnen oder verorten. Haltung lernen heißt hier, den Verstand einschalten, dabei aber nicht in endloses Grübeln zu verfallen. Haltung heißt, Reflexion beschleunigen.
  • Haltung auf der emotionalen und auf der rationalen Seite ermöglicht Handeln. Und zwar angemessenes Handeln, weil keine Reflexe ungefragt dazwischen funken. Und strukturiertes Handeln, weil vernünftige Reflexion stattfindet.

Was aber heißt das jetzt konkret für Service? Ich meine, es folgen daraus zwei ganz wichtige Punkte.

Feuerpferd und Zaumzeug

Wenn Herzensbildung (das Feuerpferd) UND ein wacher Verstand (das Zaumzeug) die Haltung eines Menschen ausmachen, dann prägt genau das die Begegnungsqualität. Dann greifen Selbstregulation und Selbstkontrolle so ineinander, dass grottenschlechter Service praktisch gar nicht mehr möglich ist.

Genau das ist ja der Mangel, wenn eine Fitness-Mitarbeiterin ihren Kundenakquise-Text herunterleiert. Dann hat sie das Feuerpferd so eingepfercht, dass keine Emotion mehr spürbar ist. Und mehr noch: Dann fehlen Respekt, Anerkennung und auch die Bereitschaft zu einer echten Kooperation. Hier wird Haltung zu einer ethischen Frage. Service kann einen Kunden zu einer Persönlichkeit machen. Oder auch nicht.

Genau das ist auch der Mangel, wenn ein Mitarbeiter arrogant auftritt oder ihm unter Stress die Nerven durchgehen: Dann hat er das innere Feuerpferd nicht im Griff. Dann fehlen Charme und Esprit, dann fehlen Humor und Gelassenheit. Und da zeigt sich: An dieser Stelle wird Haltung über die Ethik hinaus auch zu einer Frage der Ästhetik. Service kann wunderschön sein. Oder auch nicht.

Begegnungsqualität ermöglichen und Unternehmen positiv verändern – genau das ist die Lektion, die mir am Herzen liegt. Mit unserer Managementberatung RichtigRichtig.com haben war ein erprobtes System für Kundenbegeisterung entwickelt und in vielen Unternehmen etabliert. Kernstück des RichtigRichtig-Systems ist die Entwicklung einer Haltung, die exzellenten Service erst möglich macht. Eine solche Haltung kann man nicht überstülpen und nicht verordnen. Für seine Haltung steht man ein, ohne dass es jemand von einem fordert. Wir leben sie, weil wir sie leben wollen – selbst, wenn keiner „Danke“ sagt oder uns dafür lobt. Haltung ist unsere innere Überzeugung, die sich am Tun misst.

Deshalb bieten wir Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen gemeinsam zu reflektieren und sich gegenseitig für Veränderungen zu inspirieren. Den richtigen Umgang mit seinem inneren Feuerpferd, den muss jeder für sich selbst herausfinden und trainieren. Wir begleiten diesen Prozess, indem wir interaktive Lernstrukturen anbieten und jede Menge Wissen zum Umgang mit dem passenden Zaumzeug.

Wer Servicehaltung entwickelt hat, der kann gleichzeitig emotional und rational sein. Herzlich und verbindlich. Respektvoll und voller Humor. Mit Leidenschaft und Contenance. Und das nicht nur „gespielt“, sondern wirklich gelebt. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die eine solche Haltung entwickelt haben. Jeder einzelne von ihnen ist unzählige Male auf die Nase gefallen und genauso oft aufgestanden. Wir wissen alle, dass jeder von uns noch unzählige Male hinfallen und wieder aufstehen wird. Jeder. Ich auch. So ist das eben mit der Haltung: Man wird nicht fertig mit diesem Thema. Aber immer besser. Und damit zu einer freien Persönlichkeit, der Respekt, Anerkennung und Kooperation genau wie Charme, Humor und Gelassenheit selbstverständlich sind – na gut: beinahe selbstverständlich sind. Seien wir ehrlich: Feuerpferde müssen sich täglich neu zähmen… Oder wie ist das bei Ihnen?

Schreiben Sie mir Ihre Gedanken zum Thema Haltung, wenn Sie mögen. Ich bin neugierig!

Mit sehr herzlichen Grüßen,

Ihre Sabine Hübner

(Bild: iStock.com/RichVintage)