Warum ich einen Mercedes wollte

Lassen Sie mich den Faden zu einem meiner Posts noch einmal aufgreifen: „I want a Mercedes Benz.“ Ich beschrieb, dass ich bei einem Vortrag bei der Mercedes-Benz Bank auch gerne mit einem Mercedes vorgefahren wäre und bei einer Autovermietung genau diese Marke buchen wollte, was leider gründlich schiefging. In den Kommentaren zu dieser Service-Geschichte war die Frage aufgekommen, ob mein Bestehen auf dieser Automarke in die Kategorie „Allüren“ fällt? Eine gute Frage!

Natürlich verstehe ich den Impuls, so zu denken. Tatsächlich aber hat meine Idee, mit genau diesem Fabrikat vorzufahren, gar nichts mit Allüren zu tun – sondern mit einem Servicegedanken. Da die Automobilindustrie derzeit unter einem schwierigen Stern steht, erkläre ich die Sache heute lieber mit einem ganz anderen Produkt: Mit meinem Dirndlkleid.

Auch ein Dirndl kann ein Mercedes sein

Seit vielen Jahren arbeite ich mit einem Kunden aus der Landtechnik zusammen, der mir sehr, sehr ans Herz gewachsen ist. Genau dort habe ich einmal etwas getan, was ich sonst niemals tue: Ich habe meinen Vortrag im Allgäu im Dirndl gehalten.

Warum das? Ich hatte das Gefühl, dass ich mit dem Dirndl meine Zuhörer überraschen und, ja, auch ein wenig zum Schmunzeln bringen kann. Es war meine persönliche Hommage an diese wunderbare Region, die Branche und ein Verneigen vor der Tradition, der ich ja selbst entspringe. Und vielleicht sogar auch so etwas wie ein „Outing“: denn natürlich besitze ich als Österreicherin ein Dirndl, nur gewöhnlich stehe ich damit nicht auf der Business-Bühne.

Der Vortrag lief richtig rund, die Mitarbeiter waren mit viel Engagement und Humor dabei, und der Auftraggeber schenkte mir hinterher als Dankeschön sogar einen silbernen Herzchen-Anhänger, der genau zu meinem Dirndl passte. Ich hatte mich von einer sehr persönlichen Seite gezeigt und bei den Menschen etwas zum Klingen gebracht – was zurückkam, berührte wiederum mich ganz tief.

Mit kleinen Zeichen große Brücken bauen

Resonanz, Stimmigkeit – das sind die Geheimnisse, die Allerwelts-Service zu einem ganz besonderen, ganz persönlichen Service machen. Zu einem Service, der nicht nur im Gedächtnis bleibt, sondern im Herzen.

Natürlich hätte ich auch mit einem Audi, mit einer historischen Ente oder einem indischen Tuktuk auf den Parkplatz fahren können. Aber, mal unter uns: Gehen Sie zu einem Banktermin in Bergstiefeln?

Eben. Wir bauen nicht nur mit Worten und mit Gesten Brücken, sondern auch mit Dingen – und davon ausgehend heute auch mit Marken. Doch bei aller berechtigter Konsumkritik: In Dingen verlieren wir uns nicht nur, wir finden uns– und unser Gegenüber – darin auch wieder.

Das hat etwas mit der Wirkung von Ähnlichkeit zu tun. Wir fühlen uns den Menschen verbunden, die sich mit ähnlichen Dingen umgeben wie wir es tun. Das trifft auf die Harley Davidson- oder Defender-Fahrer zu, die sich im Straßenverkehr grüßen – und das ist auch der Grund dafür, dass wir in so vielen Büros auf der ganzen Welt die gleichen Regale, die gleichen Stuhlmodelle, die gleichen Laptops und Füllfederhalter sehen. Oder eine großes Reise-Plattform-Unternehmen seine Büros bewusst mit IKEA-Möbeln einrichtete:  weil sich ihre jungen IT-Talente aus aller Welt wiederfinden und sich wohlfühlen. Das geht so weit, dass wir, wenn wir mal ein Bein gebrochen haben, anderen Menschen, die auch auf Gehhilfen humpeln, unwillkürlich zuzuwinken.

Prof. Fritz Breithaupt schreibt, „dass Ähnlichkeit zwischen Beobachter und Beobachtetem eine Voraussetzung für Empathie ist“ („Kulturen der Empathie“, Suhrkamp 2016). Mehr noch: Voraussetzung für Empathie ist, dass wir die Ähnlichkeit mit unserem Gegenüber immer ein bisschen überschätzen. Und dass Empathie nur dann richtig funktioniert, wenn wir vor lauter Ähnlichkeit eben nicht total mit unserem Gegenüber verschmelzen.

Service-Empathie braucht nicht nur Nähe, sondern auch (professionelle) Distanz. Und das ist der Grund, warum ich selbst – von Zeit zu Zeit – bewusst und herzlich mit Dingen spiele, um Ähnlichkeit herzustellen. Von Zeit zu Zeit. Bewusst. Mit Herz. Das macht den Unterschied.

Deshalb mag ich die Abteilung „Sonstiges“ in meinem Kleiderschrank. Und Autovermietungen mit Service.

Wie machen Sie das? Mit welchen Dingen bauen Sie Brücken zu Ihren Gesprächspartnern?

Ich bin neugierig auf Ihre Geschichten!

Herzlichst,
Ihre Sabine Hübner

 

Zum Weiterlesen:
http://www.suhrkamp.de/buecher/kulturen_der_empathie-fritz_breithaupt_29506.html
https://www.randomhouse.de/Buch/Herrschaft-der-Dinge/Frank-Trentmann/DVA-Sachbuch/e226116.rhd