Brave Hearts

Manch einer traut sich kaum, etwas Gutes über den Service der Deutschen Bahn zu schreiben. Noch schlimmer: Fernbusanbieter, Paketdienste, Baumärkte oder der Kundendienst für – Achtung, schönes Wort – Elektrohaushaltsgroßgeräte. Laut Kundenmonitor Deutschland 2019 liegen diese Dienstleister auf der Kundenzufriedenheitsmesslatte im roten, höchstens gelben Bereich. Knallrot sogar: Soziale Netzwerke. Dagegen supergrün: Buchhandlungen und Optiker. Da gibt’s immer Serviceglück. Wenn Buchläden so etwas wie das Bayern-München-Team der Serviceliga sind, wären Soziale Netzwerke der schottische Fort William FC, das ist die schlechteste Fußballmannschaft der Welt. Doch Scherz beiseite. Ich frage mich: Was machen solche Bewertungen mit den Mitarbeitern?

Bleiben wir bei der Deutschen Bahn: Die Bahn befördert pro Jahr 150 Millionen Fahrgäste im Fernverkehr, in dem mehr als 16.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind. Und nun kommt es irgendwo an einem Tag in einem Zug zu einer unerfreulichen Begegnung. Eine verärgerte Kundin vertwittert ihren Unmut. Das gelegentlich nicht so gut informierte Social Media Team twittert ungünstig zurück. Die Tagespresse liest mit und verbreitet die Sache weiter, weil, und jetzt wird’s interessant: Weil Bahn-Bashing immer geht.

Und das geht, weil hier zwei „Nachrichtenwerte“ zusammenfallen.

Erstens Kontinuität: Ein Ereignis, das bereits als Nachricht definiert ist, hat eine hohe Chance, von den Medien auch weiterhin beachtet zu werden.

Zweitens Negativität: Je negativer ein Ereignis, je mehr es auf Konflikt, Kontroverse, Aggression, Zerstörung oder sogar Tod bezogen ist, desto stärker beachten es die Medien.

Unternehmen, die einmal in diesen Medienstrudel geraten sind, können sich kaum daraus befreien. Das koppelt zurück in die Belegschaft, wird zu Frust vor allem für diejenigen, die jeden Tag Service von Herzen leben oder sich zumindest auf den Weg dorthin gemacht haben. Nach dem Motto: „Wir können uns anstrengen, wie wir wollen, wir kriegen sowieso eins auf den Deckel.“

Übrigens gibt es den Fort William FC in den schottischen Highlands wirklich. Die Mannschaft verliert fast immer zweistellig. Jede und jede Woche wieder. Doch es geht hier, so schreibt „11 Freunde“, „an diesem vielleicht schönsten Fußballort der Welt, um viel mehr als den Sieg oder die Niederlage. Es geht um Freundschaft und Familie, um Mut und Herz. Um die letzten Brave Hearts von Fort William. Um die Zukunft. Niemand möchte seinen Kindern eines Tages sagen, dass der einzige Fußballverein der Stadt starb, weil sie irgendwann keine Lust mehr hatten.“

Für mich ist jeder beherzte Service Mitarbeiter da draußen ein Brave Heart. Wir sollten viel mehr über diese Alltagshelden berichten statt nur über Servicekatastrophen (die, das will ich gar nicht beschönigen, tatsächlich haarsträubend sind). Ich wünsche mir viel mehr „WOW!“ statt immer nur hämisches „Hehe…“. Deshalb hier eine kleine Gegenpropaganda: Auf meiner jüngsten Bahnreise rief eine Zugbegleiterin die Eltern über Lautsprecher zu ihrem Kinderwagen, weil sie gesehen hatte, dass das Baby aufgewacht war. Einfach so. Aus Freundlichkeit. Schade, dass es niemand getwittert hat.

Bildquelle: Lucas1989 / photocase