Und schlechte Spaltmaße tun trotzdem weh…

Was ein Tesla mit einem Badezimmerschrank verbindet und warum super Software keine Entschuldigung für schiefe Türen ist.

Mein neuer Schrank sitzt schief. Seit meinem Einzug hoffe ich täglich auf das Verschwinden der schlechten Spaltmaße durch Gewöhnung, selektive Wahrnehmung, Museumseffekt… was auch immer! Es passiert aber nicht. Das Ding ist schräg. Bleibt schief. Weil die Wandnische nicht hundertprozentig im Winkel ist. Stört mich, ärgert mich, auch wenn ich eigentlich weiß: Das im Netz konfigurierte und maßangefertigte Teil war um den Faktor fünf günstiger als das vergleichbar auf Maß eingebaute und perfekt verblendete Modell eines Schreinermeisters.

Ähnlich geht es laut zahlloser Posts Besitzern gewisser nagelneuer Tesla-Modelle. Innen mit Digitaltechnik ausgestattet, dass einem schwindelig wird. Außen Nebel und Löcher im Lack, Dellen im Blech und schief eingebaute Türen (https://www.tesla-model-3.de/auslieferung/tesla-model-3-maengel/). Man wäre so gern so stolz gewesen – aber die schlechten Spaltmaße sind wie Pickel. Man würde gerne dran vorbeischauen, kann aber nicht.

Was nützt eine Perfektion, wenn sie für den Kunden sinnlos ist?

Warum ich Ihnen das aufschreibe? Weil mich die Frage umtreibt, was Produkte und vor allem Services in unseren durchdigitalisierten Zeiten eigentlich können müssen, um Kunden rundum zu begeistern? „Software eats Spaltmaße“, behauptete neulich das t3n Magazin in einem Trendreport und zitierte McKinsey Experten Ondrej Burkacky: „Immer entscheidender wird beispielsweise die Connectivity, die Frage, wie sich das Smartphone mit dem User-Interface verbindet. Viel weniger relevant werden da Dinge wie die Spaltmaße der Türen.“

Theoretisch klingt das klug: Tesla konzentriert sich auf das, was den Kunden umtreibt, also auf hohe Rechenleistung und cooles Feeling im Interieur. Mein digitaler Schrank-Konfigurator konzentrierte sich auf den Kundenspaß, den eigenen Schrank am Rechner zu entwerfen, vor allem aber auf kurze Lieferzeiten und günstige Preise. Dahinter steht die Vorstellung, dass Qualität relativ sei, dass es also statt auf überkommene Qualitätsdetails auf das Big Picture ankomme, und zwar nur auf das, in dem der Kunde lebt.

Die Message ist richtig: Was nützt eine Perfektion, wenn sie für den Kunden sinnlos ist? Genau dieser Gedanke war es, der MotelOne schon vor Jahren zur Abschaffung der Zimmertelefone und vieler anderer Blindleistungen bewegte. Richtig gemacht.

Digital oder persönlich – warum „oder“?

Doch bei allem Respekt für die hohe Funktionalität einer Software. Nur weil das Innenleben super gerechnet ist, heißt das doch nicht, dass man jetzt in aller Ruhe schiefe Hülle drumherum schustern darf? Die Qualität jedes Produkts und jedes Service ergibt sich doch aus funktionalen und emotionalen und sozialen und auch aus ästhetischen Elementen. Resonanz stellt sich sogar wesentlich über Ästhetik her.

Deshalb gilt das, was ich über Service sage, genauso für Autos und Badzimmerschränke: Es geht eben nicht um eine Entweder-oder-Entscheidung nach dem Motto „digital oder persönlich“ oder „Software eats Spaltmaße“. Begeistert ist doch der Kunde erst, wenn ALLES passt. Mich jedenfalls trösten weder digitale Bestellprozesse noch „Total-digital!“-Produktversprechen über schiefe Ergebnisse hinweg.

Wie sehen Sie das?

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